V. Schiering

Mein Name ist Victor Schiering, ich bin 39 alt, von Beruf Musiker.

Im Alter von sechs Jahren wurde mir meine, wie ich heute weiss und es auch von der jetzigen Sicht der Schulmedizin bestätigt wird, altersgerecht völlig gesunde Vorhaut amputiert. Zu der Zeit wurden massenhaft eigentlich nicht der Behandlung bedürftige Vorhautverengungen diagnostiziert und die Jungen in der Regel bis zum Schuleintritt „beschnitten“. Nach allen Regeln der ärztlichen Kunst, wie es in dem heute vom Kabinett verabschiedeten Gesetz heisst. 

Was davon bleibt sind Narben. Am Penis und im Herzen.

Ich weiss, wie es sich anfühlt, wenn Erwachsenenhände einem am Penis zerren und einem Schmerzen bereiten. Wenn Erwachsene ständig dem eigenen Penis Aufmerksamkeit „schenken“ in einer Form, die ich als übergriffig bezeichne.

Jeder, der eine Vorhautamputation über sich hat ergehen lassen müssen, hat seine ganz individuelle Geschichte. Jeder lebt anders mit den Folgen.

Eine der Folgen ist die Desensibilisierung der Eichel, die bei jedem „Beschnittenen“ in unterschiedlichem Rahmen stattfindet, z.T. auch als Vorteil empfunden – bei manchen „Beschnittenen“ aber auch zur Orgasmusunfähigkeit führt.

Während ein „Unbeschnittener“ schon das Reiben seiner entblößten Eichel am weichen Stoff seiner Unterhose als unangenehm empfindet, konnte man bis vor kurzem in meine Eichel mit den Fingernägeln kneifen, ohne dass ich Schmerz verspürte.

Also ist Vorhautamputation IMMER ein Eingriff in die sexuelle Integrität eines Menschen und verletzt dessen Recht sexueller Selbstbestimmung – wozu ein intaktes Sexualorgan gehört.

Mit Dingen, die man nicht ändern kann, muss man sich in einem gewissen Rahmen abfinden. Dabei können das Sich-Einbilden eventueller Vorteile helfen, die Bestätigung im sozialen Umfeld durch andere Zwangsbeschnittene, auch das Weitergeben der Zwangsbeschneidung zur Bestätigung des selbst Erlebten.

Mir hilft die offensive Auseinandersetzung mit meiner erfolgten Vorhautamputation, das Zugeben der spürbaren Folgen, das Sich-auf-die-Suche-machen nach den mir genommen Empfindungen, das Dehnen einer Ersatzvorhaut mit in den USA dafür handelsüblichen Apparaturen, die zunehmend zu einer Resensibilisierung meiner Eichel führen. Der Effekt ist unglaublich. Ich beginne zu ahnen, was Vorhautamputationen einem Mann nehmen – denn ich bekomme es jetzt wenigstens teilweise durch einen riesigen Aufwand ermöglicht zurück. Wichtig ist freilich auch, die optischen Spuren meiner Vorhautamputation zu minimieren.

Jeder Versuch, Vorhautamputationen an Jungen zu rechtfertigen, zu verharmlosen oder gar zu verherrlichen, basiert auf einer Lüge, die in jeder Rede, in jedem Artikel, in jeder Forderung, die diese Intentionen verfolgt, irgendwann genannt wird: dass männliche „Beschneidung“, wie man verharmlosend Vorhautamputationen nennt, harm- und folgenlos sei.

Ohne diese Lüge gibt es keine Verteidigung, kein Einfordern angeblicher Eltern- oder religiösen Rechte, und auch nicht dieses Gesetz der schwarz-gelben Regierung.

Dieses Gesetz leugnet Männer wie uns.

Dieses Gesetz erfindet eine umgekehrte Beweislast: wir, die fordern, dass jeder Mensch im Sinne des Grundgesetzes frei und ausschließlich selbstbestimmt über seinen naturgegebenen Körper verfügen können soll, werden aufgefordert zu beweisen, was längst, schon allein durch unsere Existenz und auch durch zahlreiche Fachverbände bewiesen ist, dass „Beschneidung“ elementares Menschenrecht verletzt.

Dabei müssten diejenigen, die in den menschlichen Körper anderer irreversibel ohne Einverständnis des Betroffenen zur Zufriedenstellung ihrer eigenen Vorstellungen eingreifen, beweisen, dass dies keine Folgen hat.

Da dies unmöglich ist, wird „Beschneidung“ einfach ins Erziehungsrecht der Eltern eingegliedert. Auch dies ist eine Pervertierung von Recht.

Jedes Kind hat ein Recht auf eine gewaltfreie Erziehung. Das Erziehungsrecht beinhaltet nicht, Kindern ohne medizinische Indikation Schmerzen und irreversible Veränderungen an ihrem Körper mit unabsehbaren Spätfolgen vorzunehmen. Dabei spielt die Absicht rechtlich und auch für die Folgen für das Kind/Mann keine Rolle!

Eltern, die ihre Kinder zwangsverheiraten, tun dies stets in bester Absicht und einer Tradition folgend. Mit welchem Recht kann man behaupten, diese Eltern liebten ihre Kinder nicht? Trotzdem ist Zwangsverheiratung Verletzung von Menschenrecht und bei uns verboten.

Beschneiderinnen in z.B. Afrika verstümmeln Mädchen aus ihrer Sicht nicht, um sie zu erniedrigen – sie verteidigen ihr Tun mit genau denselben Argumenten, die auch jetzt im Gesetzentwurf genannt werden und denen ein geradezu unterwürfiger Respekt entgegengebracht wird: Tradition, Integration und Akzeptanz in der Gemeinschaft.

Es ist für das Kind besonders schwierig, wenn es in den Konflikt gerät, Schmerzen durch seine es liebenden Eltern zugefügt zu bekommen.
Mir hat man ja damals immerhin nicht eingeredet, ich würde durch das blutige Ergebnis des Eingriffes zum Mann oder in meine Tradition integriert – trotzdem brauchte ich über 30 Jahre und die durch das Kölner Urteil zum Ausdruck gebrachte Empathiebereitschaft, um offen mein Verletztsein zuzugeben und Empathie einzufordern.

Der Nährboden, auf dem die Verharmlosung von „Beschneidung“ wächst, ist eine zutiefst sexistische Abwertung männlicher Genitalien.
Es ist allgemein akzeptiert und fällt nicht weiter auf, über die männliche Vorhaut im Zusammenhang mit Schmutz, Krankheiten und angeblicher unvorteilhafter Optik zu sprechen.

Man stelle sich dies einmal umgekehrt mit weiblichen Geschlechtsorganen vor! Was für ein Aufschrei ginge (zu Recht!) durchs Land, man würde eine mit der männlichen „Beschneidung“ im Ausmass vergleichbare Form weiblicher „Beschneidung“ aus z.B. angeblich hygienischen oder ästhetischen Gründen propagieren, weil sich in dortigen Hautfalten Urin- und Menstruationsblutreste ansammeln könnten!

Auch dieses Gesetz bewertetet die Verletzung von männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen grundsätzlich unterschiedlich. Das ist nach Artikel 3 klar grundgesetzwidrig und entbehrt jeder wissenschaftlichen Grundlage.

Wir Männer müssen gegen diese Diskriminierung protestieren.

Wir müssen weiterhin unser Intimstes offen legen, um diese Lügen und Halbwahrheiten vor aller Welt als das zu entlarven, was sie sind – 
ein Angriff auf Menschenwürde jedes Kindes, das in Zukunft nicht mehr in seiner körperlichen Integrität und Ganzheit geschützt sein soll.